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Andrea Frediani: Endstation Hoffnung


Wider die rostigen Ketten schicksalhafter Verbindungen, zersetzt vom selben Wasser menschlicher Eintrübung der Erinnerung, welches mit stetem Tropfen noch jeden Gedächtniseckpfeiler erweichte – oder auswusch und hinfort spülte.


Wie gewohnt frönt die Ausgabe des Verlags der Kunst des Buches: handwerklich einwandfrei und angenehm gesetzt, allein der ›ultimative‹ Untertitel wirkt ein wenig übertrieben.

Warum schreibt der Autor über den Holocaust? Benutzt er das Unsagbare als Vehikel für Umsatz etc.? Oder ist es bereits an der Zeit, die Shoah nach den jüngsten Wahlergebnissen erneut ins Gedächtnis zu rufen? Dann bildete dieser Text ein Statement, der verspricht das Leben im Lager innen wie außen zu beleuchten. Müssten wir uns im Außen nicht eher gegen den Rechtsruck wehren? Dazu hilft das Verstehen der Täter von damals vielleicht? Oder ist zu dem Thema schon alles gesagt?

Wie verankert man die Erinnerung erneut in einer narzisstischen Gesellschaft, die oftmals glaubt, sie habe schon alles dazu gesagt, gehört und ein Vorrecht auf die Vergangenheitsbewältigung? Sollen die anderen erstmal ihre Hausaufgaben machen!

Durch ein neues Nacherzählen, eine zeitgemäßere Darstellung gilt es die Vereinzelten zu erreichen und sie nicht dem Populismus zu überlassen. Wenigstens einen Versuch ist es wert. Fragt sich, inwiefern stand der Charakter, die Lebensgeschichte Primo Levis dafür Pate?

Die Bedeutungsschwere des Textes erreicht das lesende Bewusstsein schon im ersten Satz: ›[…] doch ohne die Gunst des Schicksals kann der Will eines Menschen wenig ausrichten.‹

Was vermögen da noch Willenskraft und Entschlossenheit? Der innere Konflikt des Protagonisten bereits gesetzt? Ja, aber vielfältig und in Nuancen geht es tiefere menschliche Abgründe. Und dann kann man den Text nur schwer aus der Hand legen: Aus Mitgefühl oder aus Sensationslust? Doch keine Fragen mehr:

Auf 400 Seiten entfalten sich Alpträume gepaart mit Hoffnung. Die authentische Ich-Erzählung setzt die ›Suspension of Disbelief‹ sofort in Gang und im zweiten Kapitel befindet sich der Protagonist schon im Viehwagen gen Auschwitz. Ein gelungener, kaum merklicher Wechsel zwischen Präteritum und Präsens verleiht allem Unglück eine wuchtige Unmittelbarkeit. Der Stil frönt ein bisschen viel dem Passiv, wohl der Situation der Lagerinsassen oder der Übersetzung geschuldet.

Auch ist Isaia als Jude stark an der christlichen Hölle interessiert, eine Projektion des Erzählers? Ein Geschichtsprofessor mag eben auch Dante lesen. Sei’s drum, es geht einzig um Schuld ohne Sühne:

S. 13 ›ich habe wirklich keines der typischen körperlichen Merkmale eines Juden, […]‹ glaubt er tatsächlich, dass es diese gibt?

S. 14 schläft er als Professor mit einer Studentin, seinerzeit eben geduldet. O.k., nun ist es klar, das alles dient der Sympathielenkung: Unser Held muss moralische Makel haben, um beschreiben zu können, wie seine Anlagen sich unter dem Überlebensdruck des Lagers auswirken.

Reflektiert er deshalb so unendlich distanziert (S. 26) über die Ursachen des Rassenwahns? Er klammer sich an analytische Deutungsversuche, an Strohhalme im wahrsten Sinn des Wortes, und ihm gelingt ein passender Vergleich dieser Transporte mit den Sklavenschiffen des atlantischen Dreiecks. Manchesmal ertappt man menschliche Unzulänglichkeiten:

S. 112: ›wenn man keine Vorurteile gegen einen Menschen hat und ihn übel zugerichtet sieht, kann man Mitleid empfinden. Wenn man ihn aber schon ais Prinzip verabscheut, wird sein abstoßendes Äußeres zu einer Bestätigung, ja fast zu einer Rechtfertigung für ie Verachtung dieses Wesens.‹ So fällt Isaia auf S. 191 auch darauf herein, als Schutz- oder Trotzreaktion ein elitäres Urteil über die jüdische Kultur zu fällen.

Derart rutscht Isaia unter dem Druck des Lagers immer weiter in Gewissenskonflikte, in denen das Überlebenwollen siegt.

In seinen Gesprächen mit dem Auftraggeber der Memoiren, die Isaia zu schreiben hat, beleuchtet der Autor viele Aspekte der Täterverdrängung, aber warum ein Denkmal für die französischen Antisemiten? Der Wille, uns die Ursprünge aufzuzeigen, siegt über den guten Geschmack und gipfelt in indirekter Rezitation des Führers, um die Subtilität des nazistischen Rassenhasses nochmals in lange vergessenen Details zu verdeutlichen. Der Kunstgriff der Memoiren ermöglicht dem Protagonisten eine Art empathische Abscheu, die sein Empfinden sich selbst gegenüber spiegelt. Nimmt Isaia auch Schaden an seiner Seele?

Der Roman schiebt die Auseinandersetzung mit Auschwitz konsequent auf die persönliche Ebene. Wie hätten wir uns verhalten?

S. 272: ›im Grunde ist es genau das, was ein Schriftsteller können muss: auch banalen Dingen Gehalt und Tiefgang geben.‹

Dem Autor gelingt dies bei Dingen mit Tiefgang.

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